Donnerstag, 5. März 2009

London - ein Blick zurück

So einen Rückblick soll man ja nicht überhastet schreiben. Besser ist immer, man lässt sich erstmal ein bisschen Zeit, um die Dinge sacken zu lassen. Und sich Gedanken zu machen. Darüber, was man so alles erlebt hat. Und wie man die ganzen Eindrücke erlebt hat, damals im Auslandssemester in London. War alles in allem nämlich eine sehr schöne Zeit. Und wenn man sich dann lange genug Gedanken gemacht hat, kann man dann auch mal etwas Längeres schreiben. So wie dieses Fazit hier.

Das erste, was mir an London aufgefallen ist, war die Tatsache, dass London sehr groß ist. Groß in jedem Sinne. Viel Verkehr, viele Menschen, viel zu sehen, viel zu entdecken, viele Tretminen (im bildlichen Sinne), viele Chancen zum Weiterkommen und zum Geldverbrennen. All das gibt es in London, und zwar im Übermaß. Als ich Anfang September in London ankam, war das direkt an der Liverpool Street Station, um 9 Uhr morgens, also mitten zur Rush our. Die Liverpool Street Station ist der Verkehrsknotenpunkt des Bankenviertels. Dementsprechend war da ziemlich viel los, was mir sofort und auf der Stelle das Gefühl vermittelte: Ich bin in einer Großstadt angekommen. Definitiv. Vielleicht sogar in DER Großstadt.

Dieses Gefühl hat mich dann so richtig nicht mehr losgelassen. Ich habe mir auch größte Mühe gegeben, das Lebensgefühl der Großstadt möglichst bewusst zu erleben und nichts für selbstverständlich zu nehmen. Wenn man z.B. beim Einkaufen am Piccadilly Circus vorbeikommt, hieß das für mich: Stehen bleiben, nach oben gucken und genießen. Hat wunderbar geklappt. Besonders schön sind solche Momente dann abends, wenn man oft in einer besonders anrührigen Stimmung ist.

Überhaupt die Abende. Merke: Abende / Nächte in London sind sehr schön. Das ist definitiv ein Fazit, das ich mitnehmen kann. Das liegt daran, dass man - ich erwähnte das eingangs, glaube ich - in London sehr viel Auswahlmöglichkeiten hat und man sicher sein kann, dass man meistens sehr viel Spaß hat. Vor allem, wenn man in einer Crew aus Erasmus-StudentInnen embedded ist.

London bietet alles: Diese schönen, gemütlichen viktorianischen Pubs, in denen die Engländer mit Vorliebe dicht an dicht gedrängt stehen und sich gegen neun Uhr abends bereits das vierte Pint reinschrauben und dementsprechend schon angeknockt sind. Bars, von heruntergekommen-rustikal über subkulturell angehaucht bis hin zu bankermäßig posh. Und natürlich Clubs, Clubs, Clubs. Die in der Innenstadt sind zwar leider unverschämt teuer (15 bis 20 Pfund Eintritt), die in Camden aber nicht. Und da geht dann auch meistens die Post ab. Meine absolute Ober-Lieblingslocation während meiner Zeit in London war der Koko-Club, ein altes umgebautes Theater in dem am Freitag immer ein Haufen Bands auftreten. Wer an einem Wochenende mal in London ist, sollte da auf jeden Fall hin. Pflichttermin!

Eigentlich sollte man in so einem Rückblick ja auch etwas über die Menschen in seinem Gastland schreiben, aber ich bin mir nicht sicher, ob man sagen kann Londoner = Engländer. Londoner Engländer auf jeden Fall sind sehr nette Menschen, deutlich anders, als es das landläufige deutsche Klischee vom "Inselaffen" vermuten lässt. Wer nicht allzu kontaktscheu ist, wird in genannten Pubs quasi fast zwangsweise Kontakt mit echten Engländern machen (aufgrund von Platzmangel). Und man wird feststellen: Sind alles nette Leute. Größtenteils blieben bei meinen Begegnungen mit Locals auch sämtliche Hitler-Zweiter-Wetkrieg-Militarismus-Witz aus. Sehr angenehm.

Ich habe ein halbes Jahr mit einem (laut Selbstbeschreibung) Briten zusammen gewohnt (eigentlich war er gebürtiger Afghane). Hat auch super geklappt. Von ihm habe ich gelernt: Falls mal die ominösen Nazi-Witze kommen, darf man einen Fehler nicht machen, den fast alle Deutschen machen: Es seinem Gegenüber übel nehmen. Besser: Drüber lachen. Denn dann gilt man nicht als humorloser Deutscher, der nicht mal über sich selbst lachen kann - was in England nämlich eine absolute Tugend ist. Sich selbst nicht zu wichtig nehmen und sich bei Bedarf auch der Lächerlichkeit preis zu geben, sind sehr eigene Züge der Engländer, so scheint es mir. Wer die ansatzweise zeigt, hat schon so gut wie gewonnen.

Was mir aber am besten an London gefallen hat, ist die Dynamik, die man in dieser Stadt spürt. Die Banken- / Kredit- / Wirtschaftskrise nagt da in letzter Zeit zwar gewaltig dran, aber trotzdem: London und Londoner sind immer in Bewegung. Wer nur will, für den tun sich hier Chancen zum Fortkommen auf, wie man sie wohl in keiner Stadt Europas findet. Dienstleistungsunternehmen aller nur denkbaren Branchen aus allen Kontinenten haben hier ihren (Haupt)Sitz: Neben den Finanzunternehmen gibt es in London in Hülle und Fülle: Werbe-, Media-, Internetagenturen, Vertretungen aller Silicon-Valley-Größen, wichtige Zweigstellen aller Film-, Musik-, und Fernsefirmen, Ingenieur- und Architekturbüros mit Weltruf, Design- und Modeagenturen, und und und. Wer nur wirklich will, findet in London garantiert den Einstieg in seinen Traumberuf.

Und was ist natürlich nicht so toll an London? Dass diese Stadt einfach so unverschämt teuer ist. Ich habe pro Monat 500 Pfund Miete gezahlt. Das waren im September 08 noch 700 Euro, im Januar 09 immerhin "nur" noch 550 Euro, dem abstürzenden Pfund sei Dank. Und was ich für den Preis für ein Zimmer gekriegt habe: Da könnte man hierzulande den Mieter für verklagen. Schlecht isoliert, eine Küche aus den 60er Jahren und ein Uralt-Klo. Lebensunterhaltungskosten sind auch nicht ohne, ebenso öffentliche Verkehrsmittel und (siehe oben) jegliche Form von Amüsement. Deshalb könnte ich es, ganz ohne Arbeit, auch nicht länger als ein halbes Jahr in London aushalten. Man blutet halt finanziell doch schon ein kleines bisschen aus, so im Lauf der Zeit. Denn (siehe oben): Es gibt ja so viele Möglichkeiten, Geld auszugeben.

Und deshalb gilt für mich, trotz völlig überdrehter Londoner Preise: Es ist die wohl tollste und aufregendste Stadt Europas, in der theoretisch jeder sein Glück finden kann - in jeder Beziehung. Und ich bin mir ziemlich sicher: Sollte es mich in meinem Leben aus irgend einem Grund nach London verschlagen - ich wäre ganz bestimmt nicht unglücklich darüber.